·

extra.stark! 01 - 2020 | In Minuten zur alten Frau geworden FSJlerin macht Selbstversuch im Simulationsanzug

Gebeugter Rücken, schmerzende Gelenke. Den Fingern fehlt die Kraft zum Zupacken. Gut hören? Fehlanzeige! Gut Sehen – naja… Alles ist anstrengend und dauert. Willkommen im Alter! Aber wie fühlt sich das an?

Für gesunde junge Menschen ist es kaum vorstellbar, wie sehr altersbedingte Erscheinungen das Leben einschränken. Lena Brieske will aber genau das wissen. Die 19-Jährige absolviert ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) im DRK-Seniorenzentrum Sternberg. Jeden Tag sind sie und die Mitarbeitenden in den Wohnbereichen für ältere Menschen da, umsorgen sie, lachen gemeinsam und meistern den Alltag. Und dessen Herausforderungen. „Ich bin gespannt, ob ich mich gleich anders fühlen werde“, sagt Lena, als sie mit Unterstützung den Alterssimulationsanzug anzieht. Neugierige Blicke der Bewohner begleiten die junge Frau, die ein Visier (mit simulierter Makuladegenration) vor ihren Augen ausrichten will. „Ich komme da gar nicht an“, sagt Lena. Kein Wunder: Bandagen schränken die Beweglichkeit ihrer Arme massiv ein. Sechs Kilogramm zusätzliches Gewicht lasten auf ihr. Das schlanke Mädchen steckt das weg, geht aber schon deutlich langsamer über den Flur. Treppe rauf, Treppe runter, dann hin zum Vorlesekreis. Interessiert fragen Frauen und Männer nach, was da vor sich geht. Lena fühlt sich gar nicht angesprochen. Mit Kopfhörern auf den Ohren geht das Leben um sie herum an ihr schlichtweg vorbei. „Das ist total krass. Ich fühle mich jetzt schon erschöpft, so, als hätte ich eine umfassende Sporteinheit hinter mir.“ Dabei trägt sie den Simualtionsanzug erst seit 20 Minuten. „Bislang hatte ich keine Erfahrung, wie schwer es alte Menschen tatsächlich haben können. Es ist ein beeindruckendes Erlebnis, sich, glücklicherweise nur für kurze Zeit, in diese Lage hineinversetzen zu können.“  Für Lena wird jetzt noch deutlicher, warum Einfühlungsvermögen, Geduld und Verständnis in der Pflege alter und kranker Menschen so wichtig sind. „Man muss sich stärker auf einzelne Dinge konzentrieren und braucht vielmehr Zeit“, sagt sie, als sie sich zu Annegret Anton setzt. Die 79-Jährige hat nach einem Schlaganfall wieder mehr an Lebensqualität gewonnen. Bereitwillig berichtet Lena von ihrem „Älterwerden“. „Es ist gut, wenn das Pflegepersonal die Erfahrung macht, wie es einem mit vielen Beschwerden geht. Der Anzug ist eine tolle Idee.“ Und die haben inzwischen schon viele genutzt, um im Selbstversuch mehr Verständnis zu entwickeln. Der DRK Kreisverband Parchim nutzt im Bereich der Tages- und vollstationären Pflege regelmäßig Aktionstage, damit sich „Freiwillige“ selbst einen Eindruck verschaffen können. Das Angebot kommt gut an, weiß Alexander Plass. Der Geschäftsbereichsleiter Pflege und Senioren verweist darauf, dass sich Interessierte gern an ihn wenden können, um den Anzug auszuleihen, um diese wertvolle Erfahrung selbst zu machen.